Als eBook mit der ISBN: 978-3750223202

erhältlich unter anderem auf Amazon, Thalia, Weltbild ...

Taschenbuch mit folgender ISBN: 978-3750277311

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Hier der Klappentext:

»Sissi, du bist für mich ein zarter Schmetterling. Der Staub auf deinen Flügeln besteht aus bunten Schuppen. Ich habe dir zu viel von diesem Staub, deiner Farbe sowie Besonderheit abgekratzt, sodass sie inzwischen durchscheinend wirken. Würde ich es weiter tun, bekämen die Flügel Risse. Ich will dich nicht zerstören.«

 

Sissi Dörflers Leben wird ganz schön durcheinandergewirbelt, als zwei Männer auftauchen, die sie von früher her kennt. Arno hat sich als Soldat für gefährliche Einsätze verpflichtet. Günther geht einer geregelten Tätigkeit als Lehrer nach. Trotz der unterschiedlichen Lebensweisen haben sie eines gemeinsam: die Last der Vergangenheit.

 

Mit feinem Gespür schafft sie es, die geheimen Mauern ihrer Freunde einzureißen. Als ihre Mama überraschend stirbt, sehnt sie sich nach einem Partner fürs Leben. Wer von den zweien ist der Richtige und für eine Liebe bereit? Günther, der in Sissi die verlorene Schwester sieht? Oder Arno, der sich fragt, ob er nach all den schlimmen Erlebnissen, die ihn ständig einholen, überhaupt glücklich sein darf?

Sissi - Numquam retro ... Niemals zurück?

 

In den Sanddünen – Anfang Mai

 

Abenteuer pur, dachte Marissa, fuhr sich mit dem Ärmel ihrer beigen Jacke über die schweißnasse Stirn. Ihre Kleidung klebte am Körper. Sie spürte darunter den Sand, der gefühlsmäßig in jede Ritze vorgedrungen war und auf ihrer Haut rieb. Bestimmt wäre es im Augenblick am Pool einer Hotelanlage gemütlicher. Was versprachen die beeindruckenden Prospekte? Schlaraffenland-Feeling mit Sonne, all you can eat, am besten auf einer bequemen Liege mit einem Buch in der Hand …

Bei keinem solcher Urlaube habe ich mich so lebendig gefühlt! Sie blickte über die herrliche, sanft geschwungene Dünenlandschaft. »Wow!«, entwich es Marissa. Ihre Wehwehchen verblassten. Keine Aufnahmen, die es im Fernsehen, Internet oder in den Zeitschriften zu sehen gab, konnten es mit der Realität aufnehmen, die so viel mehr als nur Bilder bot: das Gefühl der Wärme, die sandige Luft, der helle Schein der Sonne … Nicht einmal der Dung der Kamele störte sie.

»Wenn du mich sehen könntest! Von wegen spießig, fad und feig!« Das hatte Markus ihr beim letzten Streit angekreidet. Die restlichen Zweifel fielen von Marissa ab. Bereits der Gang ins Reisebüro hatte wie ein Befreiungsschlag gewirkt. Ihr Blick war auf einem Plakat hängengeblieben: Eine zauberhafte Auberge am Rande der Sanddünen von Merzouga, stand es dort in großen Lettern.

Da muss ich hin!, hatte sie gleich gespürt. Afrika war jener Ort, der im Geheimen immer eine besondere Faszination in ihr entfachen konnte. Nun wehte ihr eine warme Brise ins Gesicht. Sie reiste allein, ohne Markus, den sie in den Wind geschossen hatte. Sie brauchte keinen Freund, der weder an sie glaubte noch bestärkte. Er mimte dann den liebenswerten Kerl, wenn es darum ging, ihm finanziell auszuhelfen.

Marissa schüttelte ihren Kopf, verbannte den Ex aus den Gedanken. Ihre kleine Gruppe war seit knapp einer Stunde unterwegs. Sie bestanden aus vier Personen: der Guide, der sich als Mohammed vorgestellt hatte, zwei deutsche Männer und sie selbst als einzige Frau. Die Karawane wurde mit einem locker durchhängenden Seil zusammengehalten. Die beiden Mitreisenden wirkten nett. Albert schätzte sie etwa in ihrem Alter, auf Ende zwanzig, und Simon war Pensionist, ein rüstiger, wie sein athletischer Körper bewies.

Marissa hatte sich inzwischen an die Sitzhöhe auf dem Kamel gewöhnt. Sie zückte ihr Handy, drehte ein kurzes Video, als sie schaukelnd vorwärts trabten. Im Takt schwangen die großen Packtaschen und der Rucksack mit, während sie auf einer zusammengefalteten Wolldecke saß. Sie entdeckte einen verdorrten Ast, der Wind blies ein Gestrüpp über den Boden, malte lustige Figuren in den Sand. Bald würden diese, ebenso wie ihre eigenen Spuren, weggeweht werden.

»In einer halben Stunde schlagen wir das Lager am Fuße der größten Sanddüne auf«, erklang im tiefen Timbre die Stimme des Guides.

Marissa bewunderte, wie mühelos er sich in der Weite der Landschaft orientierte. Seine dunklen Augen funkelten vertrauensvoll. Mohammeds bräunliche ledrige Haut stand im Kontrast zum grau-weißen Haar. Er trug eine weite Hose sowie einen hellen Mantel, der ihm bis zu den Knöcheln reichte. Marissa rückte ihren Turban zurecht, steckte unter das Tuch eine widerspenstige braune Locke zurück und genoss den langsamen Ritt im Einklang mit der Natur.

»Wir sind da!« Mohammed dirigierte die Dromedare, die sich folgsam auf den Boden legten, sodass die Reisenden absteigen konnten. Marissa bedankte sich bei ihrem Kamel mit Streicheleinheiten am Hals. Die Gruppe befand sich im Außencamp, windgeschützt in einer Vertiefung, in der sich rundherum die Sanddünen anschlossen. Mohammed bot Marissa ein paar Mandarinenspalten an, die sie gerne entgegennahm. Das saftige Obst löschte ihren Durst und vertrieb zugleich die knirschenden Sandkörner im Mund. Als sie nicht aufpasste, stibitzte ihr Dromedar etwas von der leckeren Frucht, verschlang geschwind die Köstlichkeit. Dankend rieb das Tier die Stirn an ihrer Schulter, was Marissa zum Kichern brachte.

»Wie es ausschaut, hast du einen neuen Freund gefunden«, meinte Albert gut gelaunt. Er lüftete seinen Turban, strich sich über den haarlosen Kopf.

»Vor allem einen hungrigen«, entgegnete Marissa. »Ich kann ihm nicht böse sein, wo er mich so brav den langen Weg getragen hat.«

»Stimmt. Zudem hat er einen hervorragenden Geschmack.«

Flirtet er mit mir? Marissa ergriff rasch ihren Rucksack, damit sie die aufsteigende Hitze im Gesicht verbergen konnte. Nach dem Reinfall mit Markus hatte sie keinen Bedarf an irgendeiner Liebelei, doch solch ein kleines Kompliment gefiel ihr sehr. Wie sehr, das musste Albert allerdings nicht wissen!

Marissa bekam den Schlafplatz zugewiesen. Vom Guide erfuhren sie, dass sie heute Nacht die einzigen Touristen bleiben würden. Darüber war sie froh. So konnte sie in einem Einzelzelt, ohne die störenden Geräusche anderer Urlauber, nächtigen. Nach dem Verstauen ihrer Siebensachen ging sie zu Mohammed, der mittlerweile ein Feuer entfacht hatte. Es gab Tee, Kekse sowie Erdnüsse zu knabbern. Die geleerten Packtaschen lagen drapiert um einen großen Teppich, dienten als Rückenlehnen, die gefalteten Wolldecken waren zu Sitzkissen geworden. Marissa nippte am Getränk, während sie den Männergesprächen lauschte.

»Ich wurde in diesem Land geboren«, gab Mohammed bereitwillig Auskunft. »Seit vielen Generationen lebt meine Familie hier. Ursprünglich stammen wir vom Volksstamm der Berber ab. Lieber bezeichnen wir uns als Imazighen – freie Menschen.«

»Wusstest du, dass Berber ein Schimpfwort ist«, flüsterte Albert in Marissas Ohr.

»Nein, das ist mir neu.«

»Doch, doch. Es kommt von den Römern, damit wurden jene Leute abfällig bezeichnet, die die damalige Weltsprache Latein nicht beherrschten.«

»Oh«, hauchte sie. »Woher weißt du das?«

»Ich muss gestehen, es ist nicht meine erste Sahara-Tour, und wird hoffentlich nicht die letzte sein.«

Das konnte Marissa nachvollziehen, dieses Land hatte sie ebenso spürbar mit einer besonderen Magie ausgefüllt. Schon jetzt bedauerte sie, dass ihre Reise nach einer läppischen Woche vorbei sein würde.

»Unsere Vorfahren waren früher Nomaden, zogen von einem Ort zum anderen«, fuhr Mohammed fort. »Inzwischen sind wir sesshaft, verdienen den Lebensunterhalt in der Landwirtschaft sowie im Tourismus. Für mich gibt es keine schönere Tätigkeit, als den Besuchern die Vorzüge unseres Landes näherzubringen.«

Albert wandte sich Simon zu, der zu seiner Linken saß. Das Feuer knisterte. Marissa sehnte sich nach etwas Zeit für sich selbst. Sie erklomm die nächstgelegene Düne. Dort zog sie die Schuhe aus, spürte den feinen Sand unter den Fußsohlen, fühlte die verschwindende Wärme. Die Sonne wich der Dämmerung. Es wurde merklich kühler. Ausgelassen rannte Marissa ein paar Schritte, ehe sie sich kichernd wie ein übermütiges Kind in den weichen Sand fallen ließ.

Ich hab alles richtig gemacht! Die letzten Sonnenstrahlen waren dabei, sich zu verabschieden. Sandkörner rieselten zwischen ihren Fingern hindurch. Im Hintergrund rief irgendwer ihren Namen. Es war Albert, der mit Simon unten beim Feuer stand und ihr entgegenwinkte. Schweren Herzens erhob sie sich von dem Aussichtspunkt. Da bemerkte sie im Schatten ihres Schlafzeltes eine Bewegung.

Zwei Männer? Hat Mohammed einen Besucher? Sollten wir hier nicht ungestört bleiben? Sie blinzelte, der Hauch eines unguten Gefühls durchfuhr sie. Nun schien die Stelle daneben leer zu sein. Mir haben die Augen wohl einen Streich gespielt. Ihr Magen knurrte. Rasch ging Marissa ins Lager zurück, freute sich aufs Abendessen.

Als Vorspeise gab es eine heiße Nudelsuppe. Darauf folgte Huhn mit Gemüse, zubereitet im Tajine, dem traditionellen Lehmtopf, der für solche Zwecke über dem offenen Feuer hing. Verfeinert mit den orientalischen Gewürzen schmeckte es exotisch. Als Nachspeise naschten sie Obst, ehe sich die gesellige Runde gegen zweiundzwanzig Uhr ins Nachtlager verabschiedete.

Marissa verharrte eine Weile am Eingang des Zeltes, starrte in die tiefdunkle Nacht, sah über ihr die Milchstraße. Der Himmel wirkte wie ein schwarzer Teppich mit funkelnden Diamanten. Neuerlich schlich sich Markus in ihre Gedanken ein. Ob ich zu hart zu ihm bin? Bei diesem friedvollen Anblick regte sich ihr schlechtes Gewissen. Die Beziehung war ein stetiges Auf und Ab gewesen, wie Ebbe und Flut. Wenn er etwas brauchte, überschwemmte er sie mit Liebesschwüren, um sie hinterher am ausgestreckten Arm verhungern zu lassen. Er kam und ging, wie es ihm beliebte. Seine egoistischen Verhaltensweisen ertrug sie nicht länger.

Du hast jemand Besseres verdient, hatte die Freundin Gerti mehrmals zu ihr gesagt. Weißt, ich habe ein dummes Gefühl bei ihm. Im Grunde genommen ist er okay, aber immer wieder, und das im regelmäßigen Rhythmus, musst du ihm Geld vorstrecken, das du meist nicht im vollen Ausmaß zurückbekommst. Ich glaube, er hat ein Problem.

Marissa fröstelte es, das lag nicht nur daran, dass es mittlerweile empfindlich kühl geworden war. »Spielsüchtig«, hauchte sie in die Nacht. Sie hatte ihn darauf angesprochen. Markus war ihr ausgewichen, gab halbherzige Antworten, unter anderem, dass er das im Griff hätte.

»Warum siehst du nicht, dass ich dir helfen möchte? Wieso kannst du nicht ehrlich sein, zu dir, zu mir?« Am meisten tat es Marissa weh, dass sich ihr Freund selbst belog, in den Ausreden und Geschichten stetig einfallsreicher wurde, aber an seinem Lebensstil nichts veränderte. Du wärst so ein lieber Kerl, wenn …

Ein Funke glomm in ihr empor, dass er es schaffen könnte, von diesem Laster loszukommen. Soll ich ihm nach der Reise eine Chance geben, wenn er mich darum bittet? – Bist du dumm!, schalt sie sich innerlich. Insgeheim ahnte sie jedoch, dass sie genau das machen würde. Es gab auch gute Seiten an ihm. Zumindest dann, wenn er sein Hoch hatte, was im Gegenzug bedeutete, dass Fortuna ihm wohlgesonnen war und er gewonnen hatte. Marissa verließ ihren Aussichtsplatz, zog sich zurück, kuschelte sich in den mitgebrachten Schlafsack, der sie vor den kalten Temperaturen schützte und sie behaglich einhüllte.

 

Marissa schreckte hoch! Ist da ein Geräusch? Unbewusst hielt sie den Atem an, lauschte. Da wieder! Ein Rascheln. Vorsichtig schälte sie sich aus dem Schlafsack, schlüpfte notdürftig in die Schuhe. Hat sich ein Tier ins Lager verirrt? Albert schlief gleich nebenan, sie wollte zu ihm rüber, denn auf einmal hatte sie Angst in ihrem Zelt. Ihr Herz klopfte bis zum Hals. Sie schluckte, nahm den gesamten Mut zusammen. Ehe sie die Zeltplanen auseinanderzog, hielt sie erneut inne. Es wirkte alles ruhig, wenn sie von dem Rauschen in ihren Ohren absah.

Bestimmt hält er mich für eine Mimose, so wie Markus – für den ich eine feige Nuss bin! Marissa nagte an ihrer Unterlippe. Gerade, als sie den nächtlichen Ausflug abbrechen wollte, tauchte ein Schatten vor dem Zelt auf. Marissa schrie auf. Da stürmte jemand herein. Sie stürzte rücklings auf den Boden, schlug um sich, probierte, die Hände wegzuzerren, die sie gepackt hatten. Ein Tuch wurde ihr mitten ins Gesicht gedrückt. Panisch sog sie Luft ein, hatte Angst zu ersticken. Es roch seltsam.

Nein! … Nein! Es erklang ihr ersticktes Gemurmel, der Körper gehorchte nicht mehr, ihr Geist zog sich in den Tiefen zurück und hüllte sie tiefschwarz ein.